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27.02.2019

Der TAGESSPIEGEL jongliert mit falschen Zahlen

Statistik-Unkenntnis und Rechenfehler bringen "28901 verschwundene Waffen"

Mit einer Exklusivmeldung brachte die Zeitung TAGESSPIEGEL am 26. Februar 2019 eine höchst eigenwillige Hochrechnung aus einer Statistik-Antwort der Bundesregierung.

"Die Zahl verschwundener privater Schusswaffen in Deutschland hat einen neuen Rekord erreicht: Ende Januar 2019 waren laut Nationalem Waffenregister 28 901 Schusswaffen nicht mehr auffindbar. Damit stieg die Zahl der verschwundenen Waffen um knapp 18 Prozent innerhalb von zwölf Monaten."

Die Zahlen basierten angeblich auf der Antwort der Bundesregierung auf eine "kleine Anfrage" der Grünen-Fraktion zur Reichsbürger-Problematik. Allerdings hatte Tagesspiegel-Redakteur Fabian Löhe statistische Äpfel mit Birnen verwechselt und sie zudem noch falsch addiert. Natürlich gab auch die Grünen-Fraktion eine sofortige Stellungnahme ab: "Wenn Schusswaffen einfach verschwinden, müssen bei der Bundesregierung alle Alarmglocken klingen: "Es handelt sich um Gegenstände, die potenziell tödlich sind“, sagt die Innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic dem Tagesspiegel. " Zweifellos ist das so, deshalb gibt es in Deutschland ja auch eins der weltweit strengsten Waffengesetze.

Als Löhe erst nach der (wohl aus Quotengründen rasch erfolgten) Veröffentlichung beim VDB am Dienstagmittag nach einer nachträglichen Stellungnahme fragte, hätte sich der Rechenfehler durch die ausführliche schriftliche Antwort des Verbands eigentlich korrigieren lassen (die lag als Mail ab 15:35 Uhr vor). Dann wäre aber der Schreckenseffekt von knapp 29.000 "verschwundenen" Waffen nicht mehr haltbar gewesen, denn mittlerweile zitieren auch andere Medien die Tagesspiegel-Ente. Selten wurden in einem Artikel der Tagespresse so undifferenziert scharfe und legale freie (Schreckschuss-)Waffen, Legalwaffenbesitzer und Reichsbürger in einen Topf geworfen.



Der VDB stellt daher, auch zum Selber-Nachlesen, die tatsächlichen Fakten zusammen:

- das 2013 auf EU-Bestreben eingeführte Nationale Waffenregister umfasst sämtliche (zuvor meist auf Karteikarten erfassten) erlaubnispflichtigen Schusswaffen und Waffenteile (etwa Läufe, Griffstücke). Die scheinbar starken Anstiege der letzten Jahre beruhen allein darauf, dass die Daten erst jetzt digital erfasst wurden - vorher gab es einfach keine bundesweiten Statistiken zu den realen Waffenmengen.

- wenn die Frage an die Bundesregierung so unglücklich (absichtlich?) gestellt wurde: „Wie viele Schusswaffen in Privatbesitz und wie viele Schusswaffenbesitzer waren im Nationalen Waffenregister (NWR) jeweils zum 31. Januar 2017, 31. Januar 2018 und 31. Januar 2019 gespeichert?“ , dann erfragt man die Gesamtzahl im NWR-System, nicht aber eine jährliche Zahl. Und im NWR sind, ohne weitere Differenzierung, zunächst einmal alle Schusswaffen und Waffenteile seit 1976 gespeichert, also seit nunmehr 43 Jahren.

- auf diese wichtigen, aber nicht erfragten Bezugsgrößen und Jahre weist die Bundesregierung in ihrer detaillierten Auflistung und Definierung (etwa "abhanden gekommenen" und "abhanden gekommen durch Diebstahl") auch deutlich hin:

„Der Wert ,,als gestohlen gemeldet" wurde zum 17. Februar 2018 zur Klarstellung in
den Wert ,,abhandengekommen durch Straftat gemeldet" (u .a. Diebstahl) umbenannt.
Der Wert ,,als abhandengekommen gemeldet" wird seit dem 17. Februar 2018 durch
die Werte ,,abhandengekommen durch Verlust" und ,,abhandengekommen auf sonstige
Weise" ersetzt.“
 
Die Gesamtzahl aller im NWR gespeicherten Waffen und Waffenteile, die mit dem
Wert ,,als abhandengekommen durch Straftat gemeldet" gekennzeichnet sind (inklusive
solcher Waffen und Waffenteile, die bereits vernichtet oder ins Ausland uberlassen
wurden),
((Anmerkung: also seit 1976!)) betrug zum
 
31.01.2018:  5.249
31.01.2019:  5.923

 Durch Straftat abhanden gekommen sind demnach von 2018 bis 2019 674 Waffen/Waffenteile – das sind erneut weniger als die in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik der letzten Jahre gemeldeten, seit Jahren sinkenden Diebstahlswerte, die bei knapp 700 bis 750 Waffen lagen.

- die Gesamtzahlen-Angabe in der Regierungsantwort ist noch klarer, wenn man es denn verstehen will:

„Die Gesamtzahl aller im NWR gespeicherten Waffen und Waffenteile, die mit den
Werten ,,abhandengekommen" (Addition des alten Werts und der neuen Werte) gekennzeichnet
sind (inklusive solcher Waffen und Waffenteile, die bereits vernichtet
oder ins Ausland überlassen wurden), betrug zum“
• 31 .01.2018: 19.282
• 31 .01.2019: 22.978.

Hier beträgt die Differenz des letzten Jahres also 3696 Waffen/Waffenteile. Die wirklich komplett falsche, aber nun einmal veröffentlichte Zahl von 28.901 „verschwundenen Waffen“ ergäbe sich nur dann, wenn man die Zahl 22.978 (seit 1976 abhanden gekommen, wie auch immer) nochmals zu der darin bereits erhaltenen Menge „gestohlen gemeldet“ (5923) addiert. Offenbar haben Statistik-Grundkenntnisse weder bei der Redakteursausbildung noch bei der Redakteursleitung einen hohen Stellenwert.

Update: Inzwischen wurde am 27.2.2019 eine weitere Meldung beim Tagesspiegel veröffentlicht, mit leicht veränderter Tendenz und Erwähnung kurzer VDB-Zitate, aber weiter ohne Korrektur der falschen Zahlen.

AUTOR: Ulrich Eichstädt
 

Quellen:


Exklusivmeldung des TAGESSPIEGEL vom 26. Februar 2019

Die "kleine Anfrage" der Grünen-Fraktion (Drucksache 19/7641) im vollen Wortlaut

Die Antwort der Bundesregierung vom 22. Februar (Drucksache 19/8022)


VDB-Meldung zu einer ähnlich falschen Statistik-Auslegung von März 2018